fehlende Wegefähigkeit Merkzeichen G
Die fehlende Wegefähigkeit im rentenrechtlichen Sinn hat hinsichtlich der Zuerkennung des Merkzeichens G keine Relevanz.
Mit seiner Klage wendet sich der Kläger gegen die Herabsetzung seines Grades der Behinderung (im Folgenden: GdB) und darüber hinaus den Entzug des gesundheitlichen Merkmals G.
Der am ... 1963 geborene Kläger stellte am 4. Februar 1991 erstmalig einen Antrag nach dem Schwerbehindertengesetz. Mit Bescheid vom 24. Oktober 2007 stellte die Beklagte einen GdB von 70 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G fest. Berücksichtigt wurden dabei unter Zugrundelegung der versorgungsärztlichen Stellungnahme ein Herzklappenfehler und eine Herzleistungsminderung mit einem Teil-GdB von 40, eine psychische Minderbelastbarkeit mit einem Teil-GdB von 40 sowie eine Lungenfunktionseinschränkung mit einem Teil-GdB von 30.
Im Oktober 2012 leitete die Beklagte von Amts wegen eine Überprüfung des GdB ein und holte im Zuge dessen einen Befund- und Behandlungsbericht der den Kläger behandelnden Ärztin Dr. W. ein (Bl. 82 ff. der Verwaltungsakte der Beklagten). Als Diagnosen benannte sie dort Aorteninsuffizienz, Depression, chronisches Schmerzsyndrom, Gonarthrose rechts, primäre Hypothyreose, Hyperhidrosis, Diabetes mellitus. Aus dem beigelegten Untersuchungsbefund von Dr. N. vom 21. Mai 2012 ergab sich, dass sich der Kläger am 15. Februar 2008 einer Aortenklappenoperation im Universitätsklinikum Eppendorf unterzogen hatte. Im Nachgang dieser Operation habe die mechanische Außenklappe eine regelrechte Funktion ohne Leck oder Insuffizienz. Die kardiale Situation sei bei normaler systolischer und diastolischer linksventrikulärer Funktion insgesamt stabil.
Nach Auswertung der vorliegenden Befund- und Behandlungsberichte im Rahmen einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 22. April 2013 durch Dr. S. (Bl. 87 der Verwaltungsakte der Beklagten) hörte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 2. August 2013 zur beabsichtigten Herabsetzung des GdB auf 60 nebst Entzug des Merkzeichens G an. Hierzu führte sie aus, dass nach der Aortenklappenoperation eine normale Herzfunktion vorliege und eine Leistungsminderung nicht mehr nachweisbar sei. Insoweit sei eine wesentliche Besserung des Gesundheitszustandes eingetreten, sodass ein Gesamt-GdB von 60 angemessen sei. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen G lägen nicht mehr vor.
Mit Schreiben vom 30. September 2013 äußerte der Kläger, dass er in seiner Wegefähigkeit eingeschränkt sei durch Schmerzen, Krämpfe, Schwitzen, Ermüdung und Schwindelgefühle. Er stehe unter Dauermedikation, was erhebliche Nebenwirkungen nach sich ziehe. Ohne eine Wertmarke könne er nicht mehr seine Familie im R. oder Studienfreunde in O., L. oder Kriegsgräber von Verwandten in F. besuchen. Einen Herabsetzungsbescheid werde er nicht akzeptieren, da dies seine wirtschaftliche Situation und seine Lebensqualität beeinträchtige. Er könne sich aber vorstellen, einen auf 60 herabgesetzten GdB bestandskräftig werden zu lassen, wenn im Gegenzug das Merkzeichen G erhalten bliebe.
Mit Neufeststellungsbescheid vom 19. November 2013 legte die Beklagte den GdB mit Wirkung vom 19. Dezember 2013 auf 60 fest. Zudem stellte sie fest, dass die Voraussetzungen für das Merkzeichen G ab diesem Datum nicht mehr vorlägen. Der Schwerbehindertenausweis und das Beiblatt mit Wertmarke würden für ungültig erklärt. Als Gesundheitsstörungen berücksichtigte die Beklagte nunmehr eine psychische Störung mit einem Teil-GdB von 40, eine Lungenfunktionseinschränkung mit einem Teil-GdB von 30 und einen Herzklappenersatz mit einem Teil-GdB von 30.
Hiergegen erhob der Kläger am 2. Dezember 2012 Widerspruch und regte ein weiteres Mal an, den GdB auf 60 herabzusetzen und das Merkzeichen G aufrechtzuerhalten.
Auf Anforderung der Beklagten teilte Dr. W. am 6. Mai 2014 mit, dass der Kläger unter einer Dyspnoe und Herzrhythmusstörungen (NYHA Klasse III) leide. Er sei in seinem Bewegungsradius erheblich eingeschränkt. Aktuelle kardiologische Berichte lägen nicht vor. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. E. vom 10. Juni 2014 (Bl. 141 der Verwaltungsakte der Beklagten), derzufolge eine keine wesentliche Änderung in der Beurteilung angezeigt sei, forderte die Beklagte den Kläger mit Blick auf eine angekündigte Kontrolluntersuchung zur Mitteilung der Befunde auf. Der Kläger teilte daraufhin mit, dass er beabsichtige, den Arzt zu wechseln. Ein Untersuchungstermin bei dem neuen Facharzt sei nicht vor Ende September 2014 zu erwarten. Auf Nachfrage der Beklagten im Januar 2015 antwortete der Kläger, dass noch keine erneute kardiologische Vorstellung erfolgt sei. Am 7. April 2015 teilte der Kläger mit, dass er am 31. März 2015 durch den Medizinischen Dienst (im Folgenden: MD) begutachtet worden sei und schlug vor, das Gutachten und den Bescheid der Pflegekasse abzuwarten. Nachdem weder das Gutachten noch eine weitere Stellungnahme des Klägers bei der Beklagten eingingen, kündigte diese am 9. November 2015 an, zum Ende des Monats über den Widerspruch des Klägers zu entscheiden. Der Kläger erklärte, dass er die versprochenen Dokumente zeitnah in den Briefkasten des Bezirksamtes Eimsbüttel eingeworfen habe. Zwischenzeitlich sei bei ihm ein chronisches Nierenversagen diagnostiziert worden. Er legte unter dem 11. November 2015 eine Überweisung seiner Hausärztin an einen Nephrologen vor. Erneute Bitten der Beklagten um Übersendung des Pflegegutachtens sowie um Mitteilung, sobald die Untersuchung bezüglich des chronischen Nierenversagens abgeschlossen sei, verliefen ergebnislos. Die Beklagte zog ein Gutachten der Deutschen Rentenversicherung vom 23. August 2011 bei. Der Gutachter Dr. D. führte dort aus, dass der Kläger an einer ausgeprägten und schweren Depression leide, die eine psychiatrische Behandlung erfordere. Im ebenfalls beigezogenen Gutachten des MD vom 31. März 2015 wird ausgeführt, dass der Kläger aufgrund einer mittelgradigen depressiven Episode, posttraumatischen Belastungsstörung und anhaltenden somatoformen Schmerzstörung pflegebedürftig ohne Empfehlung einer Pflegestufe sei. Sowohl das Gehen im Wohnbereich als auch das Gangbild des Klägers seien sicher. Bei stärkeren Belastungen trete eine Dyspnoe auf.
Unter dem 20. April 2016 widerrief der Kläger seine Schweigepflichtentbindungserklärung betreffend die Übermittlung kardiologischer Befunde sowie die Übersendung von Daten und Befunden durch die DRV Bund, Kranken- und Pflegekasse Barmer GEK, den MD sowie das U.. Hierin eingeschlossen sei die Übermittlung durch Dritte (Bl. 212 der Verwaltungsakte der Beklagten).
Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2016 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass im gesundheitlichen Zustand des Klägers im Vergleich zu den Verhältnissen, die dem Bescheid vom 24. Oktober 2007 zugrunde gelegen haben, eine Besserung im Sinne des § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) eingetreten sei. Die rechtliche und medizinische Prüfung nach den §§ 2 und 69 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) habe unter Beachtung der Anlage zu § 2 der Versicherungsmedizin-Verordnung (VersMedV) ergeben, dass die festgestellte Behinderung nach Auswertung der medizinischen Unterlagen mit einem GdB von 60 angemessen beurteilt worden sei. Berücksichtigt worden seien eine psychische Störung mit einem Teil-GdB von 40, eine Lungenfunktionseinschränkung mit einem Teil-GdB von 30 sowie ein Herzklappenersatz mit einem Teil-GdB von 30. Eine wesentliche Leistungsminderung des Herzens habe im Neufeststellungsverfahren nicht mehr festgestellt werden können. Die Feststellung eines GdB von mehr als 60 lasse sich anhand der vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht mehr begründen. Die Voraussetzungen für die Feststellungen des gesundheitlichen Merkmals „erhebliche Gehbehinderung“ (Merkzeichen G) lägen ebenfalls nicht mehr vor. Unter Wiedergabe der gesetzlichen Voraussetzungen (§§ 146 SGB IX a.F., § 2 VersMedV) führte die Beklagte weiter aus, dass der Kläger nach den vorliegenden Befunden nicht zu den dort genannten Personenkreisen gehöre. Soweit er im Widerspruchsverfahren weiterhin vorbringe, es sei keine Besserung eingetreten, könne dies nicht durch objektive Befunde belegt werden, da diese aufgrund der inzwischen teilweise widerrufenen Einwilligungserklärung nicht mehr beigezogen werden könnten. Das Fehlen objektiver Befunddaten müsse daher zulasten des Klägers gehen.
Am 24. Mai 2016 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Hamburg erhoben. Die vom Gericht erbetene Schweigepflichtentbindungserklärung zugunsten der den Kläger behandelnden Ärzt*innen hat der Kläger nicht übersandt und stattdessen das Ruhen des Verfahrens beantragt. Das Gericht hat ein Ruhen des Verfahrens nicht für sachdienlich erachtet und den Kläger darauf hingewiesen, dass der Sachverhalt ohne seine Mitwirkung nicht weiter aufgeklärt werden könne. Nach einer erneuten erfolglosen Bitte um Übersendung der angeforderten Formulare hat das Gericht dem Kläger eine Aufforderung gemäß § 106a Sozialgerichtsgesetz (SGG) übersandt. Der Kläger hatte daraufhin erklärt, er sei nicht bereit, die sehr weit gefasste Schweigepflichtentbindungserklärung zu erteilen. Erteilt wurde stattdessen eine eingeschränkte Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht zugunsten von Dr. W., von der jedoch die Mitteilung von Behandlungen wie Laborbefunden oder Drittberichte ausdrücklich ausgenommen wurden. Vorgelegt wurde des Weiteren eine Medikamentenplan, der bereits in der Verwaltungsakte der Beklagten befindliche Befund- und Behandlungsbericht von Dr. W. vom 7. März 2013 sowie eine weitere ärztliche Bescheinigung dieser Ärztin vom 19. September 2016.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 19. Januar 2017 abgewiesen. Der Kläger habe trotz entsprechender Aufforderung und Erinnerung weder seine ihn behandelnden Ärzt*innen angegeben noch eine unbeschränkte Schweigepflichtentbindungserklärung bezüglich medizinischer Unterlagen eingereicht. Der Sachverhalt habe daher aufgrund fehlender Mitwirkung nicht weiter aufgeklärt werden können, sodass nach Aktenlage zu entscheiden gewesen sei. Eine weiterer Befund- und Behandlungsbericht von der den Kläger behandelnden Ärztin Dr. W. sei nicht anzufordern gewesen, weil in der Verwaltungsakte bereits Befundberichte von ihr vorlägen und ihr im Übrigen eine weitergehende Auskunft bezüglich Laborberichten oder Drittbehandlungsberichten untersagt worden sei. Die kardiale Situation des Klägers habe deswegen nicht weiter aufgeklärt werden können. Maßgeblich sei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung. Im Ergebnis sei daher nicht relevant, ob der Kläger zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung möglicherweise unter weiteren Erkrankungen leide, die die Feststellung eines höheren GdB als 60 und des Merkzeichens G rechtfertigen könnten. Der Vortrag des Klägers, mit Ausnahme der Konsultation eines Urologen seit etwa fünf Jahren nur bei Dr. W. in Behandlung gewesen zu sein, stufte das Gericht nicht als glaubwürdig ein, denn es erschließe sich nicht, aus welchen Gründen er die Schweigepflichtentbindungserklärung seiner behandelnden Ärztin auf eigene Befunde beschränkt und die Übermittlung weiterer ausdrücklich ausgenommen habe. Zudem habe der Kläger mit Schreiben vom 5. Februar 2015 an das Versorgungsamt mitgeteilt, dass er in chirurgischer Mitbehandlung bei Dr. G. sei. Rechtsgrundlage der teilweisen Aufhebung der getroffenen Feststellungen sei § 48 SGB X in Verbindung mit § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Gegenüber den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers, die dem Bescheid vom 24. Oktober 2007 zugrunde gelegen haben, sei durch die Stabilisierung der kardialen Situation nach der Implantation einer mechanischen Aortenklappe eine wesentliche Änderung im Sinne einer Verbesserung eingetreten. Die darauf von der Beklagten vorgenommene Auswertung der vorliegenden medizinischen Befunde sei nicht zu beanstanden. Ebenso sei nicht zu beanstanden, dass die Beklagte aufgrund dessen den Gesamt-GdB auf 60 herabgesetzt und das Merkzeichen G entzogen habe.
Gegen den ihm am 14. Februar 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 20. Februar 2017 Berufung eingelegt.
Er trägt vor, der Beklagten fehle es an einer medizinischen Grundlage für die in den angefochtenen Bescheiden getroffenen Feststellungen. Vor dem Erlass des Widerspruchsbescheides habe der Kläger die der Beklagten erteilte Einwilligungserklärung widerrufen. Das Sozialgericht Hamburg verwerte in seiner Entscheidung Daten, deren Nutzung er gegenüber der Beklagten ausdrücklich durch Widerruf seiner Einwilligungserklärung widersprochen habe. Er beziehe eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Zudem stehe er im Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) mit dem Pflegegrad 2. Des Weiteren beziehe er Leistungen der Grundsicherung. Seine Erkrankungen hätten sich kontinuierlich verschlechtert. Seit Jahren befinde er sich ausschließlich in Behandlung durch die Internistin und Hausärztin Dr. W.. Es sei nicht im wegefähig. Im Übrigen wiederholte er seinen Vergleichsvorschlag aus dem Verwaltungsverfahren.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Januar 2017 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht zurückzuverweisen,
hilfsweise,
den Gerichtsbescheid vom 19. Januar 2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2016 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, dass anhand des Befundberichts der den Kläger behandelnden Ärztin sowie des beigefügten Untersuchungsbefundes von Dr. N. eine wesentliche Besserung der gesundheitlichen Verhältnisse festzustellen sei. Soweit der Kläger seine Einwilligungserklärung mit Wirkung ab 1.1.2010 widerrufen habe, sei festzuhalten, dass zum Zeitpunkt des Widerrufs die Entscheidung der Beklagten bereits im Raum gestanden habe. In der Folge etwaig aufgetretene Verschlechterungen im Gesundheitszustand des Klägers hätten aufgrund der widerrufenen Einwilligungserklärung nicht berücksichtigt werden können. Hierauf komme es im vorliegenden Verfahren jedoch auch nicht an, da lediglich die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide zu prüfen sei. Für eine vergleichsweise Einigung bestehe kein Raum.
Das Gericht hat – nachdem der Kläger mit Datum vom 12. Dezember 2017 eine „Einwilligungserklärung zur Übermittlung ärztlicher Befunde durch die Hausärztin“ erteilt hat (Bl. 127 der Gerichtsakte) – einen Befund- und Behandlungsbericht von Dr. W. nebst Laborberichten Dritter und einschließlich eines MD-Gutachtens vom 31. März 2015 eingeholt (Bl. 147 ff. der Gerichtsakte). Hierauf hat die Beklagte als weitere Gesundheitsstörungen eine Nierenfunktionseinschränkung mit einem Teil-GdB von 20 und einen beidseitigen Fingergelenksverschleiß mit einem Teil-GdB von 15 berücksichtigt (Bl. 198 ff. der Gerichtsakte). Das Gericht hat zudem Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nach Aktenlage auf internistischem Fachgebiet durch Dr. S1 vom 7. Juni 2020. Bezüglich des Inhalts dieses den Beteiligten bekannten Gutachtens wird auf Bl. 299 ff. der Gerichtsakte verwiesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie den der Gerichtsakten verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen sind.
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist in vollem Umfang unbegründet.
Sie ist unbegründet, soweit der Kläger eine Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Januar 2017 und die Zurückverweisung der Angelegenheit an das Sozialgericht begehrt.
Nach § 159 Abs. 1 SGG kann das Landessozialgericht die angefochtene Entscheidung durch Urteil aufheben und die Sache an die erste Instanz zurückverweisen, wenn entweder das Sozialgericht die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden (§ 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG) oder wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist (§ 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Da das Sozialgericht mit dem Gerichtsbescheid vom 19. Januar 2017 eine Entscheidung in der Sache getroffen hat, scheidet eine Zurückverweisung der Angelegenheit auf Grundlage des § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG von vornherein aus. Aber auch eine Zurückverweisung nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kommt hier nicht in Betracht, weil die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts nicht an einem wesentlichen Verfahrensmangel leidet.
Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG ist ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift (BSG, Urt. v. 31.7.1968 – 11 RA 307/67, BSGE 28, 179 [180]) oder aber ein Mangel der Entscheidung selbst, der zugleich einen solchen Verfahrensfehler enthält (Sommer in: Roos/Wahrendorf, BeckOGK-SGG, 2020, § 159 Rn. 10; Binder/Lüdtke in: Lüdtke/Berchtold, SGG, 5. Aufl. 2017, § 159 Rn. 7; i.d.S. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 14.12.2017 – L 13 VG 23/17, juris). Ein solcher Verfahrensmangel liegt hier nicht vor. Der Kläger hat letztlich auch keinen wesentlichen Verfahrensfehler benannt. Soweit der Kläger möglicherweise die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Sozialgerichts rügen wollte – hierfür könnte das am 14. Februar 2017 und damit ausweislich des Empfangsbekenntnisses am Tag des Erhalts des Gerichtsbescheids eingereichte Ablehnungsgesuch gegen die Richterin am Sozialgericht Herbst sprechen –, ist das Ablehnungsgesuch zum einen nicht innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Fristen erfolgt und zum anderen ein Ablehnungsgrund nicht glaubhaft gemacht, wie es die Prozessordnung verlangt (vgl. § 60 SGG i.V.m. § 44 ZPO). In der Folge hat das Sozialgericht bereits mit dem den Beteiligten bekannten Beschluss vom 10. April 2017 das Ablehnungsgesuch des Klägers zu Recht als unzulässig verworfen (Az.: S 7 SF 183/17 AB).
Auch im Übrigen ist die Berufung unbegründet, denn das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 19. Januar 2017 zu Recht entschieden, dass der Bescheid der Beklagten vom 19. November 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2016 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Der beim Kläger nunmehr festgestellte GdB ist mit 60 angemessen beurteilt. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Erteilung des gesundheitlichen Merkmals „G“ liegen nicht mehr vor.
Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig. Die Beklagte hat den Kläger vor Erlass des Bescheides vom 19. November 2013 mit Schreiben vom 2. August 2013 zur beabsichtigten Herabsetzung des GdB von 70 auf 60 sowie zur beabsichtigten Entziehung des gesundheitlichen Merkmals „G“ gemäß § 24 SGB X angehört.
Er ist auch materiell rechtmäßig. Anwendbare Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebung der mit Bescheid vom 24. Oktober 2007 getroffenen Feststellungen ist hier § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X in Verbindung mit § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX a.F. Zwar ist zwischenzeitlich zum 1.1.2018 das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) vom 23.12.2016 (BGBl. I 2016, S. 3234) in Kraft getreten. Es ist im hier zu beurteilenden Fall indes nicht anwendbar. Für die Frage der zeitlichen Anwendbarkeit eines Gesetzes ist das materielle Recht entscheidend. Nach den Grundsätzen intertemporalen Rechts (vgl. dazu z.B. BSG, Urt. v. 27.10.1976 – 2 RU 127/14, BSGE 43, 1; BSG, Urt. v. 19.9.2007 – B 1 A 4/06 R, BSGE 99, 95; BSG, Urt. v. 22.6.2010 – B 1 KR 29/09 R, SozR 4-2500 § 275 Nr. 4) ist eine Norm, soweit keine abweichende Übergangsvorschrift existiert, nur auf solche Sachverhalte anzuwenden, die sich vollständig nach Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht haben (st. Rspr., vgl. z.B. BSG, Urt. v. 27.8.2019 – B 1 KR 14/19 R, juris). Dies gilt prinzipiell ebenso, wenn die Rechtmäßigkeit einer Handlung noch in einem Gerichtsverfahren überprüft wird (vgl. BSG, Urt. v. 11.12.1990 – 1 RR 2/88, BSGE 68, 47). Anwendbar ist daher § 69 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung. Der hier maßgebliche Sachverhalt war spätestens nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2016 und damit deutlich vor Inkrafttreten des BTHG endgültig abgeschlossen. Das BTHG ist gemäß Art. 26 Abs. 1 BTHG erst am 1.1.2018 und damit nach Abschluss des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens in Kraft getreten. Aus den Bestimmungen des BTHG sowie den maßgeblichen Gesetzgebungsmaterialien (BT-Drucks. 18/9522) ergeben sich mit Blick auf die vorliegende Sachverhaltskonstellation keine Anhaltspunkte für die Existenz einer Übergangsregelung, die Einfluss auf den hier in Streit stehenden Sachverhalt bzw. eine abweichende Bestimmung des anwendbaren Rechts haben könnte, etwa dergestalt, dass ihre Geltung auch laufende Gerichtsverfahren erfassen soll.
Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.
Die Voraussetzungen dieser Norm sind vorliegend erfüllt, denn zum einen es handelt sich bei der Feststellung des Vorliegens einer Behinderung sowie des entsprechenden Grades um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (st. Rspr., vgl. z.B. BSG, Urt. v. 12.11.1996 – 9 RVs 5/95, BSGE 79, 223) und zum anderen ist eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen – hier den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers – eingetreten. Dabei kommt es für die Beantwortung der Frage, ob eine Änderung i.S.d. § 48 SGB X eingetreten ist, nicht auf den Inhalt des Bescheides, sondern auf die tatsächlichen Verhältnisse an (BSG, Urt. v. 6.12.1989 – 9 RVs 3/89, SozR 3870 § 4 Nr. 3; BSG, Urt. v. 3.10.1989 – 10 RKg 7/89, BSGE 65, 301).
In den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers, die dem Bescheid vom 24. Oktober 2007 zugrunde gelegen haben, ist zur Überzeugung des Gerichts (§§ 153 Abs. 1, 128 SGG), insbesondere nach Einholung eines Sachverständigengutachtens, eine erhebliche Besserung eingetreten.
Beim Kläger lagen – abweichend von den Verhältnissen beim Erlass des Bescheides vom 24. Oktober 2007 – einschließlich einer Einstufung gemäß Teil B der VersMedV zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des hier angefochtenen Bescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides folgende Gesundheitsstörungen vor:
- Psychische Störung mit einem Teil-GdB von 40 (Teil B Ziffer 3.7) - Lungenfunktionseinschränkung mit einem Teil-GdB von 30 (Teil B Ziffer 8.3) - Herzklappenersatz mit einem Teil-GdB von 30 (Teil B Ziffer 9.1.1) - Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus Typ II) mit einem Teil-GdB von weniger als 10 (Teil B Ziffer 15.1) - Hormonerkrankung mit einem Teil-GdB von weniger als 10 (Teil B Ziffer 15)
Diese Feststellungen trifft das Gericht auf Grundlage des Sachverständigengutachtens von Dr. S1 sowie sämtlicher vorliegender Befund- und Behandlungsunterlagen der den Kläger behandelnden Ärzt*innen. Der Sachverständige hat in seinem schließlich nach Aktenlage erstatteten Gutachten – der Kläger hat sich trotz mehrfacher Angebote einer ambulanten Untersuchung weder in den Räumlichkeiten des Sachverständigen noch seinen eigenen Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt – ausführlich und sorgfältig mit sämtlichen vorhandenen Befund- und Behandlungsunterlagen der den Kläger behandelnden Ärzt*innen auseinandergesetzt und diese gründlich ausgewertet. Hieraus hat er das oben genannte Ergebnis schlüssig und nachvollziehbar abgeleitet.
Nicht zu beanstanden ist, dass die Beklagte den Teil-GdB für das Herzleiden des Klägers auf 30 herabgesetzt hat. Nach den für den Senat überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen ist insoweit nach erfolgter Aortenklappenoperation eine Besserung der gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers gegenüber denen zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 24. Oktober 2007 eingetreten. Für die Richtigkeit der Beurteilung durch den Sachverständigen spricht hier insbesondere, dass sie in Übereinstimmung mit den Befunden steht, wie sie von den Kläger behandelnden Ärzt*innen erhoben worden sind, denn die postoperativen kardiologischen Befunde von Dr. N. von 2012 sowie der kardiologischen Ambulanz des U. von 2015 zeigen eine deutliche Stabilisierung der Herzerkrankung bei normaler Pumpfunktion des Herzens, regelhafter Funktion der implantierten Mechanoprothese und fehlenden klinischen Hinweisen für eine fortgeschrittene Herzschwäche.
Hinsichtlich weiterer Gesundheitsstörungen ist – soweit ersichtlich – keine Änderung eingetreten, die Einfluss auf den zum maßgeblichen Zeitpunkt festzustellenden Gesamt-GdB hat.
Neu hinzugetreten ist eine Niereninsuffizienz. Der Kläger hat mit Fax vom 11. November 2015 auf ein „chronisches Nierenversagen“ hingewiesen. Die Niereninsuffizienz ist von Dr. W. erstmalig als Verdachtsdiagnose in einem Überweisungsschein vom 6. April 2016 erwähnt (Bl. 214 der Verwaltungsakte der Beklagten). Der relativ zeitnah zum Erlass des Widerspruchsbescheids erstellte Bericht des Dr. S. (Urologie) vom 21. Juni 2016 (Bl. 154 der Gerichtsakte) erwähnt ebenso wenig ein Nierenleiden wie das MD-Gutachten zur Einstufung des Pflegegrades. Eine leichte Nierenfunktionseinschränkung mit Kreatininwerten zwischen 1,5 und 1,7 mg/dl bei GFR-Werten zwischen 50 und 60 ml/min ist erst durch den Auszug der Laborwerte der Hausarztpraxis vom 3. Februar 2017 festzustellen. Für eine solche Gesundheitsstörung ist eine Bewertung mit einem GdB von 20-30 angemessen (Anlage VersMedV Teil B Ziff. 12.1.3). Mit Blick auf den Zeitpunkt des Nachweises dieser Gesundheitsbeeinträchtigung nach Erlass des Widerspruchsbescheides kann sie nicht im Rahmen des hier zu beurteilenden Streitgegenstandes Berücksichtigung finden.
Ebenfalls neu hinzugetreten ist ein Fingergelenkverschleiß. Im MD-Gutachten zur Ermittlung der beim Kläger vorliegenden Pflegestufe vom 31. März 2015 ist ausgeführt, dass die Feinmotorik des Klägers vermindert sei und er den sog. „Pinzettengriff“ nicht auszuführen vermochte. Erst im Mai 2017 findet sich ein radiologischer Nachweis gering- bis mäßiggradig ausgeprägter Heberdenarthrosen und initialer Bouchard-Arthrosen. Der tatsächliche Nachweis eines Fingergelenkverschleißes liegt damit ebenfalls nach dem Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides und ist damit nicht für den Gesamt-GdB im Rahmen des hier zu beurteilenden Streitgegenstandes von Bedeutung.
Der vom Kläger mit Schriftsatz vom 21. September 2019 angeführte neuerliche Bandscheibenfall liegt ebenfalls weit nach dem Zeitpunkt, zu welchem die Beklagte ihren Widerspruchsbescheid erlassen hat und ist daher – unabhängig davon, ob überhaupt ein entsprechender Nachweis über das Ereignis und ob aufgrund dessen Funktionsstörungen mit einer Dauer von mehr als sechs Monaten vorliegen – ebenso wenig in dem hier geführten Rechtsstreit zu berücksichtigen.
Der Gesamt-GdB ist unter Berücksichtigung sämtlicher vorliegender Gesundheitsbeeinträchtigungen mit nicht mehr als 60 einzustufen. Bei der Ermittlung des Gesamt-GdB unter Berücksichtigung aller Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. Maßgebend sind vielmehr die Auswirklungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. Dabei ist regelmäßig von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, welche den höchsten Teil-GdB bedingt, und dann mit Blick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und ggf. inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung/en größer wird. Zu prüfen ist in diesem Rahmen insbesondere, ob wegen der bestehenden weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Teil-GdB 10 oder 20 oder sogar mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der/den Behinderung/en insgesamt gerecht zu werden (Anlage VersMedV Teil A Ziff. 3 lit. c)). Um die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander beurteilen zu können, muss aus einer ärztlichen Gesamtschau heraus beachtet werden, dass die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander dergestalt sein können, dass sie sich z.B. überschneiden oder verstärken, aber auch unabhängig voneinander bestehen können (Anlage VersMedV Teil A Ziff. 3 lit. d) aa) bis dd)). Von Ausnahmefällen abgesehen, führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die lediglich einen Teil-GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies selbst dann anzunehmen, wenn mehrere solcher leichten Gesundheitsbeeinträchtigungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Teil-GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung im gesamten gesellschaftlichen Leben einer Person zu schließen (Anlage VersMedV Teil A Ziff. 3 lit. d) ee)). Randnummer43 Im hier zu beurteilenden Fall ist der höchste Teil-GdB von 40 für die psychische Störung zu vergeben. Daneben besteht die Gesundheitsstörung aufgrund eines Herzklappenersatzes und einer Lungenfunktionseinschränkung mit jeweils einem Teil-GdB von 30. Des Weiteren liegen die oben bereits genannten und erörterten, gegenüber der psychischen Störung aber als leicht einzustufenden Gesundheitsbeeinträchtigungen, die – betrachtet nach den Funktionssystemen (vgl. Anlage VersMedV Teil A Ziff. 2 lit. e) – mit einem Teil-GdB von 20 oder weniger zu bewerten sind. Der von sämtlichen Sachverständigen im gerichtlichen Verfahren angenommene und dem Gericht vorgeschlagene Gesamt-GdB von 60 ist angesichts der vorgenannten Maßstäbe als angemessen anzusehen. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere, dass sich die seelischen Störungen die Lungen- und Herzleiden des Klägers gegenseitig beeinflussen und letztere daher nur in geringerem Maße zu berücksichtigen sind als mit ihrem nominalen Wert, wie der Sachverständige Dr. S1 für den Senat nachvollziehbar ausgeführt hat. Randnummer44 Nicht zu beanstanden ist des Weiteren, dass die Beklagte dem Kläger das gesundheitliche Merkmal „G“ entzogen hat, denn die Voraussetzungen für die Zuerkennung dieses gesundheitlichen Merkmals liegen nicht mehr vor. Die zum maßgeblichen Zeitpunkt festgestellten gesundheitlichen Einschränkungen haben keinen oder nur geringgradigen Einfluss auf die Gehfähigkeit des Klägers. So haben – wie der Sachverständige Dr. S1 nachvollziehbar und schlüssig ausgeführt hat – die seelischen Erkrankungen des Klägers keinen Einfluss auf seine Gehfähigkeit. Letztlich geht auch der Verweis des Klägers auf die seiner Ansicht nach fehlende Wegefähigkeit im rentenrechtlichen Sinn fehl, denn auch hieraus kann nicht auf das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G geschlossen werden, weil die anzulegenden Maßstäbe voneinander sehr verschieden sind und eine Vergleichbarkeit nicht besteht. Randnummer45 Soweit der Kläger auf den Bezug einer unbefristeten Rente wegen Erwerbsminderung und den Bezug von Leistungen nach dem SGB XI hinweist, ist zu bemerken, dass es für die hier zu treffende Entscheidung unerheblich ist, ob der Kläger die von ihm genannten Leistungen erhält, denn sie werden auf unterschiedlicher Grundlage und nach anderen Maßstäben gewährt, als dies im SGB IX für die Bewertung einer Behinderung vorgesehen ist. Aus dem Bezug einer Erwerbsminderungsrente kann nicht auf einen bestimmten GdB oder die Voraussetzungen für die Erteilung eines gesundheitlichen Merkmals geschlossen werden.
Gegen die Verwertung der vorhandenen medizinischen Unterlagen durch das Gericht greifen weder prozessuale noch datenschutzrechtliche Bedenken durch. Zuletzt hat der Kläger am 12. Dezember 2017 eine Schweigepflichtenbindungserklärung abgegeben, die die behandelnde Ärztin Dr. W. insoweit von ihrer Schweigepflicht insoweit entbunden hat, als die bei ihr befindlichen Unterlagen einschließlich Laborberichten und über Behandlungen durch Dritte offengelegt werden dürfen. Die davon betroffenen Ärzt*innen sind damit nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 385 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) von ihrer Schweigepflicht befreit und können sich im Rahmen der erteilten Schweigepflichtentbindungserklärung gegenüber dem Gericht äußern. So ist es geschehen, denn die zuletzt erteilte Schweigepflichtentbindungserklärung des Klägers erfasst u.a. den Arztbericht von Dr. N. und die Unterlagen des U.. Auf diese ist der Vorschlag einer Beurteilung des GdB und zur Feststellung von Merkzeichen im Gutachten des Sachverständigen Dr. S1 betreffend die Gesundheitsstörungen des Klägers gestützt.
Datenschutzrechtliche Bedenken gegen das Vorgehen des Gerichts bestehen nicht. Die Befugnis des Gerichts zur Verarbeitung personenbezogener Daten beruht auf gesetzlichen Bestimmungen, deren Anwendung keine Einwilligungserklärung seitens des Klägers verlangt. Sie ergibt sich bezüglich besonderer Kategorien personenbezogener Daten aus Art. 9 Abs. 2 lit. f der Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung/DS-GVO), hinsichtlich einfacher Datenkategorien aus Art. 6 Abs. 1 lit. e, Abs. 2, 3 DS-GVO i.V.m. den Vorschriften des Prozessrechts, welche den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) für den Bereich des gerichtlichen Verfahrens als spezielle Normen vorgehen (§ 1 Abs. 2 BDSG; vgl. z.B. Erkelenz/Leopold, NZS 2019, 926, 927). Davon erfasst sind sämtliche Datenverarbeitungsvorgänge (Art. 4 Nr. 2 DS-GVO) im justiziellen Tätigkeitsbereich des Gerichts, wie z.B. die Datenerhebung oder die Übermittlung personenbezogener Daten eines Prozessbeteiligten an den Prozessgegner oder einen Sachverständigen zur dortigen weiteren Verarbeitung mit dem Ziel der Erstellung eines Sachverständigengutachtens sowie anschließend dessen Verarbeitung durch das Gericht.
Entgegen der Auffassung des Klägers war auch die Beklagte zu keinem Zeitpunkt an einer Verarbeitung der ihr vorliegenden Daten aus Befund- und Behandlungsberichten gehindert. Der Kläger geht bereits fehl in der Annahme, er habe der Beklagten mit der Schweigepflichtentbindungserklärung eine Einwilligungserklärung erteilt, die er durch einen Widerruf ungeschehen machen kann. Datenschutzrechtlich betrachtet ist eine Schweigepflichtentbindungserklärung nicht als eine Einwilligung im Sinne des im hier zu beurteilenden Fall noch anwendbaren BDSG in seiner bis zum 24. Mai 2018 gültigen Fassung anzusehen. Wie bereits die Bezeichnung „Schweigepflichtentbindungserklärung“ deutlich macht, dient eine solche der Entbindung eines Geheimnisträgers von seiner Geheimhaltungspflicht Dritten gegenüber (vgl. z.B. § 385 Abs. 2 ZPO). Sie wirkt dementsprechend nur gegenüber dem Geheimnisträger. Dagegen dient die Schweigepflichtentbindungserklärung nicht der Steuerung einer Datenverarbeitung durch die Beklagte als einer (weiteren) datenschutzrechtlich verantwortlichen Stelle. Sie erbittet die Schweigepflichtentbindungserklärung an sich lediglich zum Zwecke der Verfahrenserleichterung, da sie so einmal und gebündelt zugunsten aller oder einzelner Behandler*innen erteilt werden kann und der Kläger nicht darauf verwiesen ist, seinerseits den Behandler*innen einzelne Erklärungen zur Verfügung stellen zu müssen, sofern er deren Äußerung im Verfahren befürwortet. Klarzustellen ist, dass die Beklagte ihr Handeln auf gesetzliche verfahrensrechtliche Befugnisse (z.B. § 21 SGB X) stützt, die mit datenschutzrechtlichen Verarbeitungsbefugnissen korrelieren (§§ 67 ff. SGB X), und zu deren Ausübung es regelmäßig – und auch hier – keiner Einwilligung im datenschutzrechtlichen Sinn bedarf. Der Widerruf einer Schweigepflichtentbindungserklärung hat daher zum einen lediglich Wirkung gegenüber dem zuvor von seiner Schweigepflicht entbundenen Geheimnisträger, nicht dagegen im Verhältnis zur Behörde, und zum anderen rechtlich nicht zur Folge, dass einmal rechtmäßig erhobene Daten nicht weiter im Verfahren verwendet werden dürften. Hierfür sah und sieht das Datenschutzrecht besondere Betroffenenrechte vor, derer sich der Kläger offensichtlich nicht bedient hat. Da der Kläger mit seiner Schweigepflichtentbindungserklärung aber schon keine datenschutzrechtliche Einwilligung erteilt hat, hätte auch die Ausübung eines der gesetzlich vorgesehenen Betroffenenrechte (z.B. Widerruf einer Einwilligung, Widerspruch gegen die Datenverarbeitung) nicht zu einem Ergebnis geführt, welches der Beklagten die Befugnis zur Verarbeitung der Daten genommen hätte.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung der §§ 183, 193 SGG und trägt dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache Rechnung.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (vgl. § 160 SGG).